Echte und Andere Piraten

Titel, Wann, Wo

2010-2012 Hamburg, Nairobi, Wien

Forschungsfrage/-thema

Wie stehen Mythologie, Spiel und Realität der Piraterie zueinander? Als 2010 somalische Piraten in Hamburg vor Gericht gestellt wurden, wunderten sich Kinder im Forschungstheater, die häufig und gerne Piraten spielten: „Sind das die gleichen Piraten, wie die aus den Geschichten, und warum kann die echten Piraten niemand mehr leiden?“

Initiierende / Projektleitung

geheimagentur & Forschungstheater

Mit: Sibylle Peters, Matthias Anton, Katharina Duve, Hannah Kowalski

Beteiligte Institutionen/Kontext und Anbindung

FUNDUS THEATER / Forschungstheater FT

Internationales Sommerfestival, Kampnagel

Somalische Jugendkulturgruppe Wien

Dschungel Wien

Wiener Festwochen

Das Projekt begleitete auch das Gerichtsverfahren gegen 11 somalische Piraten in Hamburg.

Mitforschende

4 Schulklassen aus Hamburger Grundschulen.

10 ehemalige somalische Piraten & ihre Schlepper

Forschungsverfahren & Mittel

Wir nahmen 60 Fragen der in Piratenkostüme gekleideten Kinder an echte Piraten auf Video auf. In Nairobi trafen wir (nach sehr langer Suche) 10 somalische Piraten auf der Flucht, zeigten ihnen die Videos, übersetzten die Fragen der Kinder und nahmen die Antworten der Piraten auf Video auf. Aus diesem unwahrscheinlichen Dialog entstand die Performance Echte und andere Piraten – ein Parlez, die wir in Hamburg (Kampnagel Sommerfestival, FUNDUS THEATER / Forschungstheater FT) unter anderem den Kindern zeigten, die die Fragen gestellt hatten. In der ersten Fassung der Performance wirkten ein ehemaliger Pirat, ein somalischer Übersetzer und fünf der Kinder mit. Die Performance zeigt den Dialog von Kindern und Piraten und erörtert die Frage, was somalische Piraterie mit anderen historischen Arten der Piraterie gemeinsam hat und was sie unterscheidet. Das folgende Gastspiel bei den Wiener Festwochen wurde von einer Zusammenarbeit mit einer somalischen Jugendgruppe begleitet, die einen somalischen Kultur-Abend im Anschluss an die Vorstellung gestalteten.

Die wesentlichen Forschungs-Verfahren waren dialogische Interviews und die Gestaltung einer unwahrscheinlichen Versammlung in der piratischen Tradition des Parlez.

Präsentationsformate/Dokumentationsformen

Video-Interviews

Unwahrscheinliche Versammlung.

Bühnenperformance

Transkripte, Vorträge

Prozessorganisation/Dauer

Phase I:

Performative Gestaltung des transgenerationellen Forschungslabors zu Piraterie. Darin Video-Interviews mit Kindern, Aufzeichnung der Fragen I. Begleitung der Hamburger Gerichtsverhandlung. Inhaltliche Recherche. Edition der Videos.

Phase II:

Suche nach somalischen Piraten als Interview-Partner, 6-Degrees-of-Separation-Research, Reise nach Mombasa, Besuch im Gefängnis von Mombasa, erster Besuch in Nairobi.

Phase III:

Weitere Sessions im transgenerationellen Forschungslabor. Aufzeichnung weiterer, informierterer Fragen der Kinder.

Phase IV:

Zweite Reise nach Nairobi. Interviewserie mit 10 somalischen Piraten. Edition und Übersetzung der Videos.

Phase V:

Erarbeitung der ersten Serie von Versammlungsperformances mit Partizipation von Piraten und Kindern.

Erarbeitung und Premieren der zweiten und dritten Version der Performance.

Zusammenarbeit mit somalischem Jugendclub in Wien.

Forschungsergebnisse

Unsere Arbeit basierte konzeptionell auf den Theorien von Markus Rediker über Hydrarchie und die Piraten des Black Atlantics. Mit der Performance schrieben wir unser eigenes Kapitel dieser Forschung in einer vergleichenden Studie zu Gegenwart, Geschichte, Mythos und Spiel der Piraterie.

Im Zuge des Dialogs zwischen Hamburger Kindern und somalischen Piraten wurde eine zivilgesellschaftliche Brücke gebaut, ein Verständigungskanal zwischen zwei Kriegsparteien, die eine davon im Überlebenskampf. Dies war ungeheuer erkenntnisreich. Solange der Kanal für Kommunikationen real geöffnet war und sich der humanitäre Konflikt um die somalische Piraterie weiter zuspitzte, war dies für die Projektleitung eine überfordernde Erfahrung, die nicht im Rahmen eines künstlerisch-forschenden Projekts gehalten werden konnte: Wir haben versucht, unsere humanitären Erkenntnisse ans auswärtige Amt zu vermitteln und mit Reedern aus Hamburg ins Gespräch zu kommen, die im Begriff waren, eine Söldnerarmee gegen die somalischen Piraten in den Kampf zu schicken. Völlig ohne Erfolg. Das auswärtige Amt stellte uns eine Warnung aus: Sollten wir entführt werden, wären wir selber in der Verantwortung. Einer der Reeder war ein langjähriger finanzieller Unterstützer unserer Arbeit. Das Projekt führte zu einer Irritation der Beziehung. PIRATES FOR PEACE!

Referenzen & Sonstiges

Verändert die Welt! Ein Forschungsbuch für Kinder und Erwachsene (im Entstehen)

https://vimeo.com/user5140453